[gelesen] Das Geheimnis von Seynford Hall von Tanja Bern

Rezensionsexemplar

©Bastei Lübbe
Das Geheimnis von Seynford Hall

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Autoren: Tanja Bern
erschienen bei Weltbild exklusiv im November  2020
bei Bastei Lübbe ab Dezember 2020
407 Seiten
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Bastei Lübbe
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gefühlvolle Familiengeschichte

Samantha führt kein besonders leichtes Leben. Sie hat zwei Jobs um sich über Wasser zu halten und doch reicht das Geld nur gerade so, um nicht auf der Straße zu sitzen. Ihr Wohnviertel ist alles andere als ansehnlich, auch die Nachbarn sind nicht immer so friedlich, wie man es sich wünschen würde. Als sie einen Brief erhält, der sie nach Seynford Hall zitiert, hat sie keine Ahnung, was sie dort wohl erwarten wird. Und doch ist sie neugierig, zu neugierig als dass sie es auf sich beruhen lassen könnte. Und so reist sie mit ihrer besten Freundin nach Rockdove, um dem Geheimnis hinter dem Schreiben auf die Spur zu kommen. Was Samantha dann erlebt, damit hätte sie allerdings niemals gerechnet. Ihr Leben wird erneut auf den Kopf gestellt, aber dieses Mal nicht unbedingt auf eine negative Weise.

Der Schreibstil von Tanja Bern ist sehr angenehm, flüssig und mitnehmend. Ich habe mich sofort wohlgefühlt in der Geschichte und wurde immer intensiver hineingezogen. Man kann mit den Figuren mitfühlen, sich mit ihnen freuen, mit ihnen Angst haben, um sie bangen und sich fragen, was wohl als nächstes auf sie zukommen wird. Einige Passagen waren sehr bewegend und gingen mir richtig unter die Haut. Neben den emotionalen Momenten gibt es auch immer wieder bildhafte Beschreibungen von den Schauplätzen und der Umgebung, so dass die Orte gut vorstellbar werden.  Oft unterstützen die Handlungsorte auch die Atmosphäre innerhalb der Geschichte sehr gut.
Protagonistin Samantha und ihre Freundin Lisa, mit der sie sich auf den Weg zu ihrem Abenteuer macht, waren mir sofort sympathisch. Die beiden ergänzen sich und sind einfach ein tolles Team, das ich sehr gern begleitet habe. Sam hat einiges durchgemacht, so dass sie nicht sofort Vertrauen schenkt und gelernt hat, sich durchzuschlagen und über Wasser zu halten. Im Job hat sie sich zum Beispiel in einer absoluten Männerdomäne durchgesetzt und in einer Autowerkstatt gezeigt, was sie drauf hat. Sie ist taff aber keinesfalls unnahbar oder gefühlskalt. Sie lässt eben nur nicht gleich jeden hinter ihre Mauern schauen. Im Verlauf des Buches lernt man die junge Frau aber gut kennen und kann daher auch einordnen, wieso sie sich verhält, wie sie es tut, was ihr so zu denken gibt und warum ihr manche Entscheidungen alles andere als leicht fallen.

Die Geschichte wird in zwei Zeitebenen erzählt. Anfang und Abschluss des Buches spielen in der Gegenwart und ein personaler Erzähler berichtet darüber, was Samantha erlebt, wohin sie reist, welchen Geheimnissen sie auf die Spur geht und was das mit ihr selbst macht. Die junge Frau, die ohne große Erwartungen nach Rockdove aufgebrochen ist, hätte niemals für möglich gehalten, was sie dort erfahren würde. Der Handlungsstrang der Gegenwart ist eng verknüpft mit der Vergangenheit, die man im zweiten Erzählstrang präsentiert bekommt. Dieser entführt den Leser und einen Teil der Figuren in die 70er Jahre. Dort erfährt man sehr intensiv, wie es Adalind ergangen ist, wie sie aufgewachsen ist und was ihr Leben für immer verändert hat. Da dieser Abschnitt aus der Ich-Perspektive geschildert wird, ist das Geschehen dort sehr persönlich und emotional. Was die damals junge Adalind durchgemacht hat, zeigt, unter welchem Druck sie gestanden hat und welche gesellschaftlichen Normen sie erfüllen musste. Das macht es aber nicht weniger schrecklich, furchtbar und aufwühlend. Die heutige Adalind Seynford scheint im ziemlichen Kontrast zu der jungen Frau zu stehen, die man in der Vergangenheit kennenlernt, sobald man ihre Geschichte jedoch kennt, wird vieles nachvollziehbarer. Den Schmerz, der sie seit damals begleitet, den kann ihr niemand nehmen, auch wenn die positiveren Entwicklungen der Gegenwart für eine etwas versöhnlichere Stimmung sorgen.
Der Wechsel zwischen den Perspektiven ist mir problemlos gelungen, es war ein sehr fließender Übergang, so dass es leicht war, wieder in der Gegenwart anzukommen. Besonders schön fand ich die Parallelen, die man bei einigen der Figuren und den Erlebnissen aus der Vergangenheit und Gegenwart entdecken konnte. Es war so passend und gleichzeitig auch melancholisch. Auch wenn die Entwicklungen im Verlauf der Geschichte positiver werden, ist es auch nicht zu gradlinig. Immer wieder gibt es Stolpersteine und Hürden, die überwunden werden müssen. Das Durchhalten und mutig sein, wird manchmal aber auch belohnt. So gab es für Samantha und ihr einsames Herz eine schöne Wendung, die gut eingeflochten war, ohne zu viel Raum einzunehmen und von der Familiengeschichte abzulenken.
Liebe, Freundschaft, Vertrauen, Verrat, Hoffnung, Lügen – all diese Dinge spielen im Laufe des Buches auf unterschiedliche Weise eine Rolle. Einige Aspekte sind eher in den 70er Jahren verankert, andere Sachen betreffen beide Zeitebenen, manches bezieht sich auch nur auf die aktuellen Entwicklungen. Über die eine oder andere Figur hätte ich gern noch mehr erfahren, besonders Lisa scheint eine sehr interessante Figur zu sein, die sicher auch ein eigenes Buch füllen könnte. Insgesamt hatte ich allerdings das Gefühl, man erfährt genug von den Protagonisten und den wichtigsten Nebenfiguren, um der Handlung gut zu folgen, ihre Entscheidungen zu verstehen und einschätzen zu können, wieso sie das eine oder andere tun bzw. sagen.

Der Abschluss der Geschichte war aus meiner Sicht super gelungen, es ist viel passiert in der Zwischenzeit, einiges hat sich sortiert, neue Hoffnungen sind aufgekeimt, alles scheint in die richtige Richtung zu gehen, ohne dass es zu perfekt ist, obwohl es eben doch ziemlich perfekt sein könnte. Schwer zu erklären, man muss das erleben. Für mich passte das auf jeden Fall alles gut zusammen und rundete die Handlung toll ab.

Fazit

Eine gefühlvolle, toll geschriebene Geschichte, in der ich mich nie gelangweilt habe. Durch die zwei Zeitebenen sind die Themen vielseitig, jede Protagonistin hat ihre ganz eigenen Sorgen und Herausforderungen zu meistern gehabt. Auch wenn die Verknüpfung der zwei Perspektiven sehr früh klar ist, war es spannend zu erleben, wie es zu all dem gekommen ist und was die Charaktere durchgemacht haben. Die Parallelen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart haben der Handlung aus meiner Sicht eine besondere Note verliehen, weil es die Atmosphäre unterstützt und den Zusammenhang noch deutlicher werden lässt.

Ich danke dem Verlag für das bereitgestellte Rezensionsexemplar.

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