[gelesen] Was fehlt, wenn ich verschwunden bin von Lilly Lindner

Was fehlt,
wenn ich verschwunden bin
Autor: Lilly Lindner
erschienen Februar 2015
Verlag: Fischer
ISBN: 978-3-7335-0093-1
© Fischer

„Sie ist erst
vierzig, aber sie sieht aus, als wäre sie schon neunundneunzig – das ist das
Alter, das auf Brettspielen als obere Begrenzung angegeben ist. Danach ist man
zu al
t für Spiele, dann beginn der Ernst des Lebens.“ (Seite 55)
Die 16-jährige April muss wegen Magersucht in eine Klinik.
Da ihre Schwester Phoebe sie furchtbar vermisst, schreibt sie April regelmäßig
Briefe und erzählt von aktuellen Erlebnissen und Erinnerungen an gemeinsame
Tage. Brief für Brief, auch wenn sie keine Antwort erhält…
Dies ist eins dieser Bücher, die sich nur schwer in Worte
fassen lassen und zu denen es nahezu unmöglich ist, seine Meinung und Gefühle
zu begründen, ohne das Buch komplett auseinander zu nehmen.
Am Anfang war ich skeptisch, ob das Briefformat mich packen
kann, doch Phoebe mit ihrer  besondern
Art konnte mich erst mal für sich einnehmen. Es passiert eigentlich nichts,
trotzdem fliegen die Seiten zu Beginn nur so dahin. Phoebes Worte sind
faszinierend und zugleich beängstigend. Immer wieder frage ich mich, wie alt
dieses Kind sein mag, denn auf der einen Seite weiß sie viele Dinge noch nicht,
auf der anderen Seite ist sie sehr philosophisch und spielt mit der Sprache,
verdreht sie so lange, bis etwas völlig Neues herauskommt.
„Ich muss auch mit
meiner Angst umgehen.
Umgehen – also um
die Angst herum
gehen.
Aber wenn Mama und Papa das schon nicht schaffen, und die
sind erwachsen, dann verlaufe ich mich doch auf jeden Fall. Und wenn ich
verschwunden bin, wer sucht nach mir?“ (Seite 60)
Irgendwann kam aber der Punkt, an dem ich dachte, dass nun
Zeit für etwas anderes ist, denn auf Dauer wurden diese einseitigen Briefe auch
anstrengend, weil es in der Handlung nicht voranging. Aber ich bekam meine
Wende… Die Stimmung schlägt im zweiten Teil etwas um. Es wurde noch
emotionaler und bedrückender.
Schade war allerdings, dass sich die zwei Teile sprachlich
und stilistisch nicht sehr voneinander unterscheiden.
Das Thema des Buches ist ernst, wobei Aprils Krankheit nicht
in all ihren Einzelheiten erläutert wird. Viel mehr geht es um die tiefe
Verbindung zwischen den zwei Schwestern und die eher komplizierten Beziehung zu
den Eltern. Man bekommt den Eindruck, diese würden nur schreien oder flüchten –
ein Einblick in das Gefühlsleben der Erwachsenen wäre daher eine hilfreiche
Ergänzung gewesen, um dieses extrem negative Bild, das in Phoebes Erzählung
entsteht, besser einschätzen zu können.
Trotz ernster Thematik und emotionaler Momente konnte mich
das Buch nicht völlig in seinen Bann ziehen. Der erste Gedanke nach dem Lesen
des letzten Satzes war: Irgendwas fehlt… Das Buch war gut, es war oft
traurig, aufgrund Phoebes Wortspielen auch manchmal witzig. Es macht wütend und
es ist bedrückend, aber irgendwas fehlt. Ich kann es nur schwer in Worte
fassen: Die Darstellung der Eltern war mir zu einseitig negativ. Es werden
erschütternde Ereignisse einfach so in kurzen Nebensätzen geschildert, was zwar
schockiert, aber den tiefen Emotionen gar keinen Raum lässt. Beide Teile sind
sprachlich zu ähnlich, was aufgrund Phoebes verdrehter Schreibweise eigentlich
nicht sein dürfte…
Was fehlt, wenn ich verschwunden bin ist keine
leichte Kost. Die ernste Thematik sorgt oft für bedrückende Lesemomente, die an
Intensität zunehmen, wenn man weiß, dass das Buch autobiographische Züge
enthält. Lilly Lindner spielt mit der Sprache und ihre Wortverdrehungen regen
oft zum Nachdenken an. Der abschließende Wow-Effekt bleibt zwar aus, – aber es
kann nicht schaden, vor dem Lesen Taschentücher bereitzulegen.

4 Gedanken zu „[gelesen] Was fehlt, wenn ich verschwunden bin von Lilly Lindner“

  1. Huhu Anja,
    Ich bin hin und her gerissen ob ich das Buch lesen soll oder nicht, da die Meinungen doch sehr auseinander gehen.
    Die Thematik ist ja schon harter Tobak.

    Liebe Grüße vom Lesemonsterchen Dani

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