[gelesen] Jeder Tag kann der schönste in deinem Leben werden von Emily Barr

© Fischer Verlag (FJB)

Jeder Tag kann der schönste in deinem Leben werden

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Emily Barr
erschienen März 2017
352 Seiten
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Fischer Verlag (FJB)
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Jugendbuch mit besonderer Dynamik und Atmosphäre

Flora ist siebzehn Jahre alt, immer wieder denkt sie jedoch für einen Augenblick, sie wäre erst 10. Seit diesem Alter hat sie eine Gedächtnisstörung und lebt fast ausschließlich im hier und jetzt. Alle Dinge, die nach ihrem zehnten Geburtstag passiert sind, kann sie nicht dauerhaft im Gedächtnis speichern. Manchmal merkt sie sich die Ereignisse für einige Stunden, manchmal auch nur für eine einzige und dann muss sie sich wieder neu sortieren und herausfinden, wer sie ist, wo ist und wer die Menschen um sie herum sind, sollte sie nicht allein sein. Doch dann kommt der Tag, an dem ihr etwas im Gedächtnis bleibt. Tag für Tag. Eine völlig neue Erfahrung für Flora, die sich daran klammert, dass das ein Schritt zurück zu einem besser funktionierenden Gedächtnis sein könnte. Für sie beginnt eine spannende, abenteuerliche Reise mit reichlich Hürden, denn ihr Ziel liegt nicht gerade um die Ecke.

Dieses Buch habe ich als sehr besonders empfunden. Schon allein aufgrund der Protagonistin Flora Banks, die immer wieder neu anfängt zu sortieren, wer sie ist und was um sie herum passiert. Durch ihre Gedächtnisstörung hat die Geschichte eine ganz andere Dynamik und obwohl man sich stellenweise schon im Kreis dreht, wenn die Protagonistin ihre Erinnerungen auffrischt, habe ich das nie als störend empfunden, weil es eben einfach zu ihr gehört.
Flora hat ein Notizbuch, in dem sie wichtige Dinge festhält und in dem auch ihre Mutter für sie aufgeschrieben hat, was passiert ist und wodurch sie diese Gedächtnisstörung hat. Immer wieder schreibt sie sich auch Sachen auf die Arme, damit sie schnell zugriff darauf hat, wenn ihr Gedächtnis sich wieder einmal gelöscht hat. Flora ist zusätzlich auf ihr Umfeld angewiesen, auf das, was die Menschen ihr erzählen oder eben auch nicht erzählen, wie sie sich ihr gegenüber verhalten, was sie ihr ermöglichen oder verwehren.
In gewisser Weise hat Flora gar nicht so richtig die Chance, vollkommen sie selbst zu sein und zu entscheiden was sie will, weil sie dafür immer wieder zu viel vergisst. Jedoch entwickelt sie mit der Zeit so ihre Strategien, mit denen sie mehr und mehr selbstbestimmt lebt und Ziele erreicht, die viele ihr so wohl gar nicht unbedingt zugetraut hätten.

Ich empfand den Schreibstil als angenehm und flüssig zu lesen, trotz der Wiederholungen, die durch das „neu erinnern“ entstehen. Auch wenn Floras Situation teilweise schon berührend und auch etwas bedrückend ist, wirkte es auf mich nie zu niedergeschlagen. Ich stelle mir so eine Form der Amnesie wirklich nicht leicht vor. Es gibt Augenblicke, in denen sie zweifelt und ziemlich verloren ist. Flora hat aber auch viel positive Energie, die beim Lesen spürbar wird. Außerdem ist sie mutig und stellt sich immer wieder Herausforderungen. Sympathisch fand ich auch, wie sie immer wieder versucht zu überspielen, was los ist, wenn sie nicht weiß, ob ihr Gegenüber weiß, dass sie alles vergisst oder was überhaupt zuvor geschehen ist. Für Flora ist das eine zusätzliche Last und immer wieder eine Hürde, aber irgendwie mochte ich, wie sie sich bemüht, „normal“ zu sein und doch dann zwischendurch feststellt, dass die anderen Leute durchaus mitbekommen, dass mit ihr etwas nicht stimmt oder sie manches vielleicht schon mal erzählt oder gefragt hat. Andererseits ist es eben auch einfach nur Ausdruck ihres Zustandes und in gewisser Weise traurig, dass sie sich so Strategien überlegen muss, um über den Tag zu kommen – bevor sie es dann doch wieder vergisst. Ich habe es allerdings nicht dauerhaft als traurig oder niederschmetternd empfunden, weil ich die Struktur und Dynamik der Geschichte gern mochte.

Durch die Ich-Perspektive erlebt man Floras Gedanken und Gefühle sehr intensiv mit und bemerkt auch immer sofort, wann ihr Gedächtnis wieder gelöscht wurde. Man selbst hat in manchen Situationen zwar dann einen kleinen Wissensvorsprung, teilweise gibt es mit den „Löschungen“ aber auch kleine Zeitsprünge, so dass man sich nicht immer am selben Ort wiederfindet, wie zuvor. Die Art, wie das eingebunden ist, variiert im Buch und damit auch, wie viel Zeit Flora benötigt, um sich zu sortieren und sich wieder zurechtzufinden.
Ihre Gedanken sind immer wieder etwas wirr und unsortiert, was aber ihrer Situation geschuldet ist und damit sehr realistisch wirkte. In vielen Augenblicken spürt man dann aber auch, wie ihre Mechanismen greifen und wie sie es schafft, sich zu sortieren. Vor allem diese eine Erinnerung, die sie behalten hat, gibt ihr viel Kraft und Energie. Wie sie sich da hineinsteigert ist vielleicht etwas extrem, wie sie das Ganze angeht sicher auch in gewisser Weise naiv. Allerdings darf man auch nicht vergessen, dass viel von ihrer Lebenserfahrung alle paar Stunden einfach wieder gelöscht wird und sie ja auch erst siebzehn ist. Da darf man dann auch den Teenager zwischendurch spüren- trotzig, eigensinnig, naiv und schwer verliebt.

Neben Flora steht ihre Familie im Fokus der Geschichte, ebenso wie ihre beste Freundin und derjenige, der ihre Erinnerung hervorgerufen hat. Im Verlauf des Buches trifft Flora auf verschiedene Leute, viele von ihnen lernt man jedoch nicht besonders intensiv kennen, manche unterstützen sie aber bei ihrem Abenteuer und sind damit für die Protagonistin wichtig, auch wenn man über sie selbst nicht so viel erfährt. Ihre Kontakte und Begegnungen fließen mal mehr mal weniger intensiv in die Geschichte mit ein und sorgen manchmal auch für kleine Änderungen der Pläne oder lösen gewisse Gefühle, Hoffnungen und Erwartungen aus.

Zwischendurch gab es Momente, in denen man beim Lesen selbst nicht genau weiß, was nun stimmt und was nicht. Was ist wirklich passiert? Was wurde Flora vielleicht nur erzählt? Warum hat sie es sich dann aber aufgeschrieben? Ich mochte diese kleinen Verwirrungen und Wendungen, es bringt noch mal eine andere Facette mit rein und löst die klare „Linie“, die es trotz der Gedächtnisprobleme gab, etwas auf. Irgendwie war es auch spannend zu verfolgen, wie sie dann auf Reise geht, weil man auch einfach nicht weiß, wie gut es ihr in ihrem „Zustand“ dann so gelingt. Aber keine Spannung im Sinne von Nervenkitzel, ich war einfach neugierig, was daraus wird, wie viel Chaos entsteht und was sie alles erleben wird.

Fazit

Für mich war es eine besondere Geschichte, die in ihrer Struktur und Dynamik von dem abweicht, was man sonst regelmäßiger liest. Flora ist eine spannende Protagonistin, die durch ihre Gedächtnisstörung stark geprägt ist. Ja, sie ist naiv, manchmal sehr übersprudelnd, aber auch einfach irgendwie sympathisch, mutig und willensstark – obwohl sie gar nicht so richtig die Chance hat, sich frei zu entfalten und herauszufinden, wie ihr Weg aussehen soll. Hier und da hätte manches vielleicht noch etwas mehr in die Tiefe gehen können, in vielen Momenten gibt es durch den Gedächtnisverlust aber auch nicht so richtig die Chance dafür, weil man teilweise nur sehr punktuell die Situationen miterlebt. Mir hat das Buch auf jeden Fall gut gefallen, es hatte eine besondere Atmosphäre, nicht nur durch das Setting in der Arktis.


2 Gedanken zu „[gelesen] Jeder Tag kann der schönste in deinem Leben werden von Emily Barr“

  1. Hallo Dana,

    mich hat der Klappentext des Buches gleich angesprochen. Ich konnte mir direkt vorstellen, dass das Buch ein paar berührende Momente mit dabei hat. Dass die Protagonistin so positiv dabei bleibt, klingt wirklich sehr sympathisch. Mit ihr kann man sich sicherlich gut anfreunden. Ich denke, das könnte ein Buch für mich sein. Das setze ich mir gleich auf die Wunschliste.

    Ganz liebe Grüße
    Leni

    1. Hallo Leni,
      freut mich, dass ich dich mit dem Buch neugierig machen konnte. Bevor ich es in der Bibliothek entdeckt hatte, sagte es mir gar nicht so viel., aber man sieht auch zu viele Bücher, um wirklich jedes abzuspeichern. ^^ Ich hatte auf jeden Fall viele schöne Momente beim Lesen, auch weil es echt einfach mal was anderes war – für mich auf jeden Fall. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass es nicht für jeden was ist, man hat eben schon diese sehr häufig wiederkehrenden Elemente in der Handlung.
      Liebe Grüße,
      Dana

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