[gelesen] Die ganz großen Fragen von Jamia Wilson

Rezensionsexemplar

© Carlsen
Die ganz großen Fragen

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Jamia Wilson, Andrea Pippins (Illustration)
erschienen September 2022
ab 10 Jahren
64 Seiten
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hier geht’s zum Verlag
Carlsen
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interessante Idee, Kritik an der Umsetzung

Wer bin ich?
Was ist Gerechtigkeit?
Und woher wissen wir, was richtig und falsch ist? Die ganz großen Fragen – irgendwann stellen wir sie uns alle auf die eine oder andere Weise. Aber wie findet man die passenden Antworten? Dieses Sachbuch bietet einen modernen und vielfältigen Blick auf die wichtigsten philosophischen Themen. Mit klugen Worten von Aristoteles oder Maya Angelou und aktuellen Beispielen regt es zum kritischen Denken an. So kann man sich selbst eine Meinung bilden und eigene Ideen entwickeln.Ein Guide zu Meinungsbildung und respektvoller Diskussion mit leuchtend bunten Illustrationen. © Klappentext: Carlsen

Allgemeiner Aufbau:
Das philosophische Kindersachbuch ist in fünf große Bereiche untergliedert, in denen jeweils vier bis sechs Fragen thematisiert werden. Im Abschnitt „Identität“ geht es zum Beispiel unter anderem um die Fragen „Wer bin ich?“, „Was ist ein Individuum?“, „Was ist Gender?“. Der Bereich Leben beschäftigt sich mit Fragen wie „Was ist die Natur des Menschen?“ und „Warum leben wir?“. In den Kapiteln zur Obergruppe „Wahrheit“ geht es um Themen wie „Gibt es einen Gott?“ und „Was ist Gerechtigkeit?“. Der Themenbereich, der unter dem Begriff „Kultur“ steht, beschäftigt sich mit „Was ist Fantasie?“, „Was ist Freiheit?“ und „Was ist Wissen?“. Im letzten Abschnitt „Kreativität“ werden Fragen wie „Was ist Schönheit?“ und „Was sind Erinnerungen?“ behandelt.
Zu Beginn gibt es eine kleine Einleitung, die auf das Buch vorbereitet. Am Ende befindet sich ein Zeitstrahl, in dem die Personen, die im Laufe der Themen angesprochen werden, wiederzufinden sind, um sie zeitlich besser einordnen zu können, und ein Glossar mit einigen Worterklärungen. Das Inhaltsverzeichnis ist übersichtlich gestaltet und kann dabei helfen, schnell zu finden, was einen am meisten interessiert.
Jeweils eine Doppelseite beschäftigt sich mit einer der Fragen. Dabei gibt es zahlreiche Zitate und Denkansätze von ganz unterschiedlichen Dichter*innen, Denker*innen Philosoph*innen, Wissenschaftler*innen und anderen berühmten bzw. bekannten Persönlichkeiten. Viele der Seiten sind komplett farbig hinterlegt, andere sind in der Grundfarbe weiß. Alle Doppelseiten enthalten jedoch eine Vielzahl an sehr farbenfrohen Illustrationen, die die Thematik unterstützen sollen oder die Persönlichkeiten abbilden, auf die im Text Bezug genommen wird.

Meinung:
Jeder hat im Laufe seines Lebens zahlreiche Fragen. Auf manche gibt es ganz einfache, klare Antworten, auf andere nicht. Manche Fragen haben vielleicht auch gar keine alleingültige Antwort, weil es darauf ankommt, wie man das Thema betrachtet, welche Erfahrungen und welches Umfeld man hat. Besonders Kinder haben oft viele Fragen, manche sind ganz klein, andere umfassen sehr komplexe Themen, zu denen es verschiedene Ansätze gibt. Mit solchen „großen“ Fragen befasst sich dieses philosophische Sachbuch.
Die Idee an sich finde ich gar nicht schlecht, die Umsetzung konnte bei mir nur leider gar nicht punkten. In der Einleitung wird geschildert, wie unterschiedlich Antworten auf die im Buch gestellten – und auch andere – Fragen aussehen könnten und dass es davon abhängig ist, wie man aufwächst, in welchem politischen, sozialen und kulturellen Umfeld, wie die Meinungen derer aussehen, mit denen wir zu tun haben, wie offen wir für andere Denkanstöße sind und so weiter. Diesen Ansatz an sich finde ich wirklich gut. Es gibt nicht auf jede Frage DIE Antwort, die für alle zählen muss. Man sollte offen sein für andere Denkansätze, für andere Erklärungen, für andere Meinungen. Das auch schon Kindern mit auf den Weg zu geben, ist sicher ein guter Ansatz, um Streitigkeiten vorzubeugen, um Toleranz zu fördern und Offenheit zuzulassen. Ob das wirklich für Zehnjährige schon das richtige Thema ist, hängt sicher auch von dem jeweiligen Kind ab.
Obwohl die Idee des Buches gut ist, sehe ich aber auch mehrere kritische Punkte. Besonders die Einstiegsthemen sind extrem philosophisch und wirklich schwer zu lesen. Es wirkt hochtrabend und nur wenig greifbar, durch den Schreibstil an sich und auch durch die zahlreichen Zitate und Gedankenansätze von Persönlichkeiten, die eingebunden wurden. Es ist im Verlauf dann zwar etwa besser und nicht mehr ganz so intensiv philosophisch, dennoch empfand ich viele Themen als schwer zu greifen. Auch bin ich nicht sicher, ob Zehnjährige wirklich Lust auf ein Buch haben, in dem sie zu ihren Fragen nur weitere Fragen bekommen. Denn eine Antwort müssen sie eben für sich selbst finden. Auf dem Cover des Buches heißt es „Wie sie dir helfen unsere Welt und dich selbst zu verstehen“, nur finde ich leider, dass die Kinder eher überladen werden mit weiteren Fragen. Es gibt zwar Denkanstöße, es gibt verschiedene Meinungen und Ansichten von anderen Persönlichkeiten, aus denen man für sich eine Antwort ziehen kann oder zumindest die Anstöße bekommen könnte, um sich selbst eine Meinung zu bilden und sich eine Antwort zu geben, hier wird aber viel Eigenleistung erwartet zu diesen sehr komplexen, tiefgehenden Themen.

Im Text befinden sich viele Wörter oder Formulierungen, die für die empfohlene Altersgruppe nicht passend oder verständlich sind. Es gibt zwar ein Glossar, in dem einige Sachen erklärt werden, aber selbst dort empfand ich einige Formulierungen als schwierig, um damit dann wirklich arbeiten zu können. Es stört zudem auch den Lesefluss, wenn man in dem ohnehin schon recht schweren Text dann noch ständig Wörter nachschlagen muss, die man nicht versteht. Begriffe wie „nonverbal“ oder „soziales Geschlecht“ sind zum Beispiel einfach keine Ausdrücke für Zehnjährige, mit denen sie dann auch etwas anfangen können. Es wird in einigen Abschnitten sehr viel vorausgesetzt, was die Kinder wissen und verstehen müssen, um sich überhaupt mit dem Text befassen zu können. Es sind sehr komplexe Themen, die teilweise auch thematisch einfach noch nicht das sind, womit sich Kinder in dem Alter beschäftigen oder beschäftigen wollen – zumindest nicht auf diese hochphilosophische Weise. Es wird sicher auch welche geben, für die es schon interessant ist, aber selbst dann ist es einfach nicht besonders leichtgängig zu lesen und teilweise schwer verständlich. Besonders die ganzen Zitate und Denkansätze von historischen Persönlichkeiten sind oft schwer greifbar und nicht besonders verständlich – auch für Erwachsene nicht.

Vielleicht wäre es eher ein Buch für Heranwachsende ab 12, 13 Jahren, die sich mit einigen der Begriffen schon besser auskennen und schon mehr mit den komplexen Themen und den vielschichtigen Denkansätzen anfangen können. Möglicherweise auch als Schulbuch, als Einstieg in diese Themen. Dafür ist die Aufmachung dann aber vermutlich zu quietschbunt und kindlich.

Während ich das Buch gelesen habe, habe ich mich mit zwei Personen darüber ausgetauscht, die beruflich mit Kindern zu tun haben. Eine von ihnen ist Lehrerin ab Klasse fünf. Die andere Person arbeitet in der Hortbetreuung und damit mit Grundschulkindern bis zehn. Beide haben meinen Eindruck bestätigt.

Eine Bewertung des Buches fällt mir sehr schwer, da das Gesamtpaket für mich nicht passt. Die Aufmachung spricht sicher jüngere Kinder an, die Text sind eher für Größere gemacht. Als unbegleitete Lektüre sind die komplexen Themen für Kinder sicher schwierig, weil viele schwere Worte drin stecken, sehr viele neue Fragen aufgeworfen werden, ohne dass Antworten gegeben werden. Es ist viel Eigenleistung gefordert, womit sehr viel beim Kind vorausgesetzt wird.

Ich danke dem Verlag für das bereitgestellte Rezensionsexemplar.

2 Gedanken zu „[gelesen] Die ganz großen Fragen von Jamia Wilson“

  1. Huhu liebe Dana,
    schade, dass es nicht so ganz die Zielgruppe trifft. Von der Idee her auf jeden Fall klasse. Ich überlege noch, ob ich es einer Freundin für ihre Enkel schenke.
    LieGrü und bunten Sonntag
    Elena

    1. Hallo Elena,
      wenn du denkst, dass es thematisch etwas sein kann… Vielleicht kann man irgendwo auch mal in eine Leseprobe reinschauen, um sich einen Eindruck von den Inhalten und der Schreibart zu verschaffen. Man sollte auf jeden Fall viel Lust auf eigene Gedanken usw. mitbringen.
      Liebe Grüße
      Dana

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