[gelesen] Die ganze Wahrheit (wie Mason Buttle sie erzählt) von Leslie Connor

© Hanser
Die ganze Wahrheit (wie Mason Buttle sie erzählt)
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Leslie Connor
erschienen im Februar 2021
320 Seiten
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Hanser Verlag

insgesamt zu langatmig, trotz berührender Momente

Mason Buttle ist grundehrlich und liebenswert, er hat ein Herz aus Gold. Dafür würde er niemals einen Buchstabierwettbewerb gewinnen, denn er kann kaum lesen und schreiben. Die anderen Kinder lachen ihn aus und hänseln ihn. Aber Mason hat Calvin. Calvin ist ungewöhnlich klein und dünn, dafür aber besonders schlau. Gemeinsam bauen die beiden Jungs ein Geheimversteck, eine Art unterirdische Höhle. So können sie sich vor den Angriffen der anderen verstecken. Als Calvin vermisst wird, gerät Mason in Schwierigkeiten. Es ist nicht lange her, dass Masons bester Freund Benny im Obstgarten der Buttles verunglückt ist. Noch immer sind viele Fragen offen. Und der verwirrte Mason muss endlich Antworten finden. Klappentext: © Hanser

Das Buch hat mich etwas zwiespältig zurückgelassen. Einerseits enthält es einige lehrreiche und wertvolle Passagen. Andererseits habe ich die Geschichte als recht langatmig empfunden.
Wirklich viel passiert nicht – zumindest für mich. Mason hat da eine ganze andere Wahrnehmung, denn es werden ganz viele kleine Situationen beschrieben, die ihm wichtig waren, die ihm in Erinnerung geblieben sind oder ihn aufgewühlt haben. Und seine Begeisterung für die einfachen Dinge ist durchaus schön zu lesen. Aber dennoch passiert mir halt einfach zu wenig.

Nun ist Mason insgesamt ein sehr spezieller Charakter:
Er ist Legastheniker und wohl auch Synästhetiker.
Er ist anscheinend ein wenig zu groß und kräftig für sein Alter.
Er schwitzt so stark, dass er sich mehrfach am Tag umziehen muss.
Und denkt ein wenig langsamer als andere Kinder seines Alters.

All das sorgt dafür, dass Mason, der als Ich-Erzähler fungiert, eben seine ganz eigenen Themen in den Vordergrund stellt, wie Kleinigkeiten, die er über den Tag hinweg erlebt und wie er beispielsweise das regelmäßige Umziehen aufgrund des Schwitzens in seine Aktivitäten einbaut, was im Ergebnis zu vielen Wiederholungen führt. Auch in seiner Erzählweise hat Mason einige Phrasen, die er immer und immer wieder wiederholt, was ich mit der Zeit als recht anstrengend empfunden habe.

Ansonsten ist die Sprache aber passend für die Zielgruppe (und für die Art, wie Mason dargestellt wird). Eher einfach gehalten, einfache Sätze, größtenteils leicht verständlich.

Da Mason viele Dinge anders wahrnimmt und nicht immer alles sofort durchschaut, was um ihn herum geschieht, passiert allerdings unglaublich viel zwischen den Zeilen – was sich aus dem Verhalten oder Aussagen der Figuren ableiten lässt, bei Mason aber nicht entsprechend ankommt und dementsprechend keine weitere Erwähnung oder Erklärung findet.

Und das, wo die Geschichte an sich schon keine leichte Kost ist:
Mason hat seine Eltern und seinen besten Freund verloren. Letzterer starb vor einem Jahr auf der Plantage von Masons Familie, wobei Mason die ganze Tragweite des tragischen Unfalls gar nicht versteht, obwohl immer wieder ein Polizist bei ihm zuhause auftaucht und Fragen stellt.
Zudem wird Mason heftig gemobbt, nicht nur verbal. Immer wieder kommt es zu Angriffen auf ihn und seinen neuen Freund, die zwar einige Erwachsene wahrnehmen, aber gegen die niemand etwas unternimmt. Ein Punkt, der mich wirklich stört, weil das Mobbing letztlich komplett unkommentiert und folgenlos bleibt.
Auch den Umgang mit der Trauer, oder den fehlenden Umgang damit, finde ich ein wenig schwierig dargestellt. Oft wirkte Mason auf mich mit der Situation allein gelassen – obwohl seine Großmutter und sein Onkel prinzipiell für ihn da sind.

Was in der Geschichte wirklich schön thematisiert wird, ist der Wert der Freundschaft. Mason und sein neuer Freund ergänzen sich perfekt, obwohl die Jungen komplett verschiedenen sind, sowohl körperlich als auch geistig. Sie geben ein super Gespann ab, respektieren einander, unterstützen einander und verlieren – im Gegensatz zu vielen Kindern ihres Umfelds – nicht ein schlechtes Wort über die vermeintlichen „Fehler“ des anderen. Und sie hören einander zu – etwas, was einige Erwachsene im Verlauf erst noch lernen müssen.

Masons Unvoreingenommenheit ist toll, ebenso seine Hingabe für Dinge, die ihm am Herzen liegen.

Ganz am Ende wird auch das Thema Familie und Zugehörigkeit auf sehr rührende Weise aufgegriffen.

Fazit

Mason ist, keine Frage, ein interessanter und liebenswerter Charakter. Aber ist er auch eine Figur, in die sich 10-jährige Kinder hinversetzen können? Da bin ich mir nicht sicher. Zumal viele von Masons Besonderheiten nicht wirklich näher erklärt werden.
Ich empfand die Handlung insgesamt als wenig spannend. Sie ist sehr ruhig, weil Mason sich an so vielen Kleinigkeiten erfreut, die er ausführlich schildert (wobei mir grundsätzlich gefällt, wie der Junge seine Prioritäten setzt und wofür er sich einsetzt). Ebenso wie er lange die Probleme wälzt, die sich ihm in den Weg stellen. Erst kurz vor Schluss gibt es einige dramatische Momente, auf die die Geschichte bereits die ganze Zeit hinarbeitet.
Die ungleiche Freundschaft ist toll beschrieben. Und auch wenn die Sprache für die Zielgruppe passt, würde ich das Buch aufgrund der ruhigen, streckenweise zähen, Handlung, der vielen Zwischentöne und der teils heftigen, unbearbeiteten Themen, noch keinem 10-jährigen Kind einfach so in die Hand geben.

 

2 Gedanken zu „[gelesen] Die ganze Wahrheit (wie Mason Buttle sie erzählt) von Leslie Connor“

  1. Hallo liebe Anja,
    das Buch scheint einige sehr interessante Themen aufzugreifen. Umso überraschender finde ich, dass es dann zu einigen langatmigen Szenen und auch zu Wiederholungen kam. Ich finde du hast sehr schlüssig dargestellt, warum diese Kritikpunkte vermutlich zustande gekommen sind. Dennoch finde ich, dass die Autorin das Potential, dass diese Themen mit sich bringen besser hätte nutzen können. Vielen Dank für diese hilfreiche und sehr informative Rezension.

    Ganz liebe Grüße
    Tanja

    1. Hallo Tanja,
      ich versuche bei Kinderbüchern immer meine persönliche Sicht zu schildern, es aber auch mit Blick auf die Zielgruppe zu betrachten. Das sind natürlich zwei völlig verschiedene Sichtweisen.
      Mason empfand die Ereignisse sicher nicht als langatmig, daher passt es irgendwie schon, wie er alles schildert. Die Rezensionen fallen ja insgesamt positiver aus als meine, dabei habe ich versucht, tatsächlich auch Kindermeinungen zu finden: von langweilig bis toll war alles dabei.
      Dass das Mobbing irgendwie als ok stehen bleibt und sich im Ergebnis Mason anpassen muss, um nicht angegriffen zu werden, finde ich allerdings wirklich absolut unpassend, weil den kleinen Leserinnen hier in keinster Weise vermittelt wird, dass sie Hilfe von Erwachsenen bekommen werden, wenn sie sich ihnen anvertrauen. Stattdessen schauen die Erwachsenen noch weg.

      Viele Grüße
      Anja

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