[gelesen] So weit die Störche ziehen von Theresia Graw

Rezensionsexemplar

©Ullstein
So weit die Störche ziehen

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Autorin: Theresia Graw
erschienen  August 2020
640 Seiten
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Ullstein
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erst etwas langatmig, dann immer bedrückender, spannender und interessanter

Doras Familie besitzt einen gut gehenden Gutshof in Ostpreußen, der es der jungen Protagonistin ermöglicht von einer wunderschönen Zukunft zu träumen. Doch dann kommt der Krieg und das sorglose, unbeschwerte Leben nimmt ein jähes Ende. Auch wenn Dora zunächst noch nicht so viel von den Auswirkungen mitbekommt und an ein rasches Ende der Auseinandersetzungen glaubt, muss sie diesen Glauben irgendwann begraben und der Realität ins Auge blicken. Inmitten all dieser Veränderungen spielen auch die Herzensangelegenheiten von Dora eine große Rolle und auch in der Beziehung kommt vieles anders, als sie es sich ausgemalt hatte.

Ich bin nicht so häufig im historischen Kontext unterwegs, doch dieses Buch hat mit dem Klappentext mein Interesse geweckt. Die Liebesgeschichte gepaart mit den schrecklichen Erlebnissen des Krieges hat mich neugierig gemacht und ich war gespannt, wie das umgesetzt wird. Das Buch ist nicht komplett biografisch, es sind jedoch Berichte von Zeitzeugen und auch geschichtlich belegte Fakten mit eingearbeitet worden, so dass man sich gut vorstellen kann, dass vieles von dem, was beschrieben wird, so oder so ähnlich auch passiert sein könnte.

Zu Beginn des Werkes war es mir leider zu langatmig und stellenweise fast schon etwas zäh. Man lernt Dora und ihre Familie kennen und kann sich ein ganz gutes Bild davon machen, wie die Protagonistin aufgewachsen ist, was sie beschäftigt und bewegt. Als der Krieg ausbricht, ist es für die Twardys in Ostpreußen alles recht weit weg und auch wenn man sich Gedanken macht, geht das Leben doch recht normal weiter – zumindest zunächst. Auch als die ersten Familienmitglieder eingezogen werden und an die Front müssen, war es gefühlt noch ziemlich ruhig bei Dora. Ihr Leben geht weiter, sie träumt nach wie vor von ihrer schönen Zukunft, sie lernt Menschen kennen, geht tanzen und nutzt die Chancen, die ihr Königsberg bieten, auch wenn sie nicht freiwillig dorthin gegangen ist. In dieser Phase entwickelt Dora sich zwar und legt schon einen kleinen Teil der Naivität und Kindlichkeit ab, da sie fort für die Familie ihres Onkels Verantwortung übernehmen muss, aber was um sie herum passiert und wie schrecklich die Lage eigentlich ist, davon erfährt man nicht viel. Auch wenn Dora einiges erlebt und man auch mitbekommt, was all die neuen Erfahrungen mit ihrem Herz machen, konnte mich das alles noch nicht so richtig packen. Es plätschert eher dahin, so empfand ich es beim Lesen zumindest. Auch wenn mir bewusst ist, dass nicht alle Regionen und alle Menschen gleich von den Auswirkungen des Krieges betroffen waren und für einige das Leben vielleicht wirklich einfach weiter ging und man sich nicht zu viele Gedanken gemacht hat. Dennoch passierte mir einfach irgendwie zu wenig.
Erst als der Krieg dann mehr Auswirkungen auf alle hat und es auch um die Existenz des Hofes geht, konnte mich das Buch mehr mitnehmen. Die Protagonistin muss schneller Verantwortung übernehmen, als sie gedacht hätte und steht vor Problemen, die sich allein nicht lösen lassen. Es kommt eine entbehrungsreiche Zeit auf die Familie zu und es wird immer schlimmer und schlimmer. Mitzuerleben, wie die Familie Stück für Stück verliert, was sie besitzen und was ihre Existenz sichert, war bedrückend und bewegend. Gleichzeitig wachsen einige der Charaktere auch über sich hinaus und entwickeln eine Stärke, die sie vorher wohl selbst nicht in sich vermutet haben. Doras Gefühle in Bezug auf die Männerwelt spielen weiterhin eine Rolle, doch immer wieder werden diese Emotionen auch in den Hintergrund gedrängt, da andere Sachen Priorität haben. Doch man verliert nie ganz den Bezug dazu, so dass sich dieses Thema durch das komplette Buch zieht, wenn sich auch der Schwerpunkt etwas verändert und auch die Gedanken der Protagonistin dazu.

Autorin Theresia Graw gibt Einblicke in die Zeit zwischen 1939 und 1945 in der Region Ostpreußen, so dass man sich schon vorstellen kann, wie es zu der Zeit dort gewesen sein könnte und wie sich die Lage mit Voranschreiten des Krieges verändert hat. Ich konnte den Geschehnissen durchweg gut folgen und auch wenn es mir zu Beginn zu ruhig war, wurden auch dort die Ereignisse nachvollziehbar geschildert und man kann Dora dabei begleiten, was sie erlebt und wie sie sich entwickelt. Die Entwicklungssprünge, die die Protagonistin dann im Verlauf des Buches macht, waren auf jeden Fall beeindruckend. Sie wird mutig und sehr entschlossen, sie kämpft verbissen für ihre Familie und später auch ums Überleben im Allgemeinen. Die Schrecken des Krieges werden dabei dann auch nicht mehr verschwiegen, aber auch nicht bis ins kleinste Detail ausgeschmückt. Das Grauen ist aber auf unterschiedliche Weise präsent. Durch den personalen Erzähler wird in den Szenen teilweise auch eine gewisse Distanz gewahrt, auch wenn trotzdem deutlich wird, dass es die Charaktere mitnimmt, was sie dort erleben und sehen.

Fazit

Die Phase der Figureneinführung und der ersten Entwicklungen rund um Dora war mir persönlich einfach zu langatmig und ereignisarm. Auch wenn es nicht unwichtig ist, die Charaktere, besonders die Protagonistin, kennen zu lernen, hätte dieser Abschnitt für mich kürzer sein dürfen. Als dann der Krieg immer mehr ins Geschehen eingreift, konnte mich auch die Handlung mehr packen. Es wird bedrückender, die Schrecken der Zeit nehmen mehr Raum ein und viele andere Dinge rücken in den Hintergrund. Es muss eine furchtbare Zeit gewesen sein und man kann nur froh sein, es nicht selbst durchmachen zu müssen. Diese Passagen im Buch empfand ich als spannend und erschütternd gleichermaßen, dort konnte mich die Geschichte auf jeden Fall mitnehmen und erreichen.

Ich danke dem Verlag für das bereitgestellte Rezensionsexemplar.

2 Gedanken zu „[gelesen] So weit die Störche ziehen von Theresia Graw“

  1. Hallo liebe Dana,
    wir haben ja schon über das Buch gesprochen. Ich kann anhand deiner Rezension noch einmal nachvollziehen, wo „das Problem“ bei dieser Geschichte gelegen hat. Ich denke auch mir wäre das Buch vom Spannungslevel her zu ruhig gewesen. Wenn man das von vornherein weiß und sich darauf einlässt, dann mag das funktionieren. Bei 640 Seiten hätte ich mir vermutlich aber auch eine rasante Handlung gewünscht … denke ich.

    Eine sehr schöne und aussagekräftige Rezension von dir.

    Ganz liebe Grüße
    Tanja :o)

    1. Hallo Tanja,
      danke für deine Worte 🙂 Ich war zwar darauf vorbereitet, dass es eine Liebesgeschichte sein wird, aber irgendwie hatte ich mir dann vielleicht doch einfach mehr erwartet bzw. gedacht, dass der Krieg früher eine Rolle spielen wird. Geschmack ist und bleibt eben einfach verschieden. Aber ja, mit 640 Seiten ist das Buch eben auch nicht besonders kurz.
      Dennoch bin ich gespannt darauf weitere Werke zu lesen, die zur Zeit des zweiten Weltkriegs spielen, nur vielleicht nicht jetzt sofort. Aber ab und an könnte ich mir Ausflüge in die Zeit doch vorstellen, auch wenn es bedrückend und beängstigend gewesen sein muss, zu dieser Zeit gelebt und das alles mitbekommen zu haben.
      Liebe Grüße
      dana

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