[gelesen] Im Land der weißen Schokolade von Martin Dolejš

Rezensionsexemplar

© Magellan
Im Land der weißen Schokolade
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Martin Dolejš
erschienen im Januar 2021
256 Seiten
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Magellan

hier wird (zu) viel Vorwissen vorausgesetzt…

Martin lebt in der Tschechoslowakei. Doch seine Eltern sind mit dem Leben dort unzufrieden und beschließen 1980, in den Westen zu fliehen. Für den 12-jährigen beginnt eine aufregende Zeit voller Zweifel, Angst, Hoffnungen und der Aussicht auf weiße Schokolade und Apfelshampoo. Dabei möchte er eigentlich gar nicht so gern weg, denn Martin ist frisch verliebt in seine Pionierleiterin und muss sich mit dem System deshalb nochmal auf ganz andere Art auseinandersetzen…

Auf den ersten Blick hatte mich das Buch gar nicht angesprochen. Ich bin dann aber neugierig geworden, als ich sah, dass es sich um ein Kinderbuch handelt, weil ich gespannt war, wie das Thema der Flucht kindgerecht verarbeitet wurde. In meinen Augen ist aber genau das nicht wirklich passiert – denn wirklich kindgerecht empfinde ich das Buch aus verschiedenen Gründen trotz des 12-jährigen Ich-Erzählers nicht.

Die Umstände der Zeit werden nicht ausführlich genug geschildert, um sie wirklich nachvollziehen zu können, wenn man nicht irgendwie einen Bezug zu der Zeit oder entsprechendes Vorwissen hat.
Das angehängte Glossar (Fußnoten hätte ich einfacher gefunden, da man nie weiß, wann sich das nachschlagen lohnt) hätte sehr viel länger ausfallen müssen: Dass Ivanka eine Koseform ist, braucht keine Erklärung, ist halt ein Name. Und bedarf „Kosmos“ tatsächlich einer Definition? Aber Begriffe wie Kommunismus oder Bolschewismus fehlen hingegen in der Erklärungsliste und werden ganz selbstverständlich benutzt. So wie noch viel zu viele andere Dinge ganz selbstverständlich vorausgesetzt werden.

An vielen Stellen fehlen weiterführende Infos. Teilweise werden in Nebensätzen Begebenheiten geschildert, die nicht weiter ausgeführt werden, obwohl sie mir wichtig erschienen wären. Auch am Ende fehlen für mich ganz entscheidende Informationen zum Verständnis, um die Ereignisse richtig einordnen zu können.

Was ich sehr nachvollziehbar dargestellt fand, waren Martins wechselnden Gefühle und Gedanken. Er ist in die etwas ältere Ivanka verliebt, die er unbedingt beeindrucken möchte. Daher tut er bei den Pionieren einige Dinge, die er eigentlich total unsinnig findet. Ihr macht er vor, dass er das politische System gutheißt, während er zuhause die ablehnende Haltung seiner Eltern mitbekommt, die sich auf ihre heimliche Flucht vorbereiten. Er hat Angst davor, sein Zuhause und seine Großeltern zu verlassen, aber er ist neugierig auf all die Westprodukte, die er teilweise aus der Werbung oder aus Erzählungen kennt. Und je näher der Zeitpunkt rückt, desto mehr Sorgen macht er sich, dass die Staatssicherheit ihre Plänen erahnen und die Familie erwischen könnte.
Und auch die Unsicherheit und Sorgen seiner Eltern spiegelt sich in vielen widersprüchlichen Aussagen wieder.

Dadurch entsteht ein stetiger Wechsel zwischen ängstlichen Momenten aber auch völlig skurrilen und witzigen Szenen – beispielsweise in der Darstellung von Ivankas regeltreuer Familie oder wenn Martin und seine Eltern auf der Flucht unbekanntes Essen zu bestellen versuchen.
Doch obwohl es immer wieder zu diesen schrägen Momenten kommt, empfand ich die Stimmung insgesamt doch als eher bedrückend und angespannt – die Angst immer im Nacken oder ganz konkret in Form von bewaffneten Grenzsoldaten vor Augen.

Eine Karte mit dem „Reise“weg (von der ČSSR durch drei Länder nach Westdeutschland) wäre interessant gewesen, vor allem, da sich die Länger seitdem ja auch etwas verändert haben.

Fazit

Die Sorgen, Ängste und Hoffnungen des 12-jährigen Martin, der versucht ein Mädchen zu beeindrucken, während er heimlich auf eine verbotene Flucht vorbereitet wird, werden anschaulich und nachvollziehbar dargestellt. Es kommt dabei zu einigen schrägen Momenten, insgesamt ist die Stimmung aber eher angespannt und bedrückend.
Leider empfinde ich die Umsetzung der Thematik als Kinderbuch (ab 11 Jahren) nur als bedingt gelungen: das politische System und die Lebensumstände werden in meinen Augen nicht ausführlich genug erklärt, sodass man ein gewisses Vorwissen benötigt, um die Sorgen der Menschen und das System verstehen zu können. Zwar gibt es ein Glossar, dort werden aber viele für das Verständnis wichtige Begriffe nicht aufgeführt.
Auch an anderen Stellen fehlen für das Verständnis der Handlung bzw. zur Einordnung entsprechender Zusammenhänge notwendige Informationen.


Ich danke dem Verlag sowie Lovelybooks für das bereitgestellte Leserundenexemplar.

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