[gelesen] Vox von Christina Dalcher

Rezensionsexemplar

© Fischer
Vox
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Autorin: Christina Dalcher
erschienen August 2018
400 Seiten
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Fischer.

erschreckendes Szenario – Umsetzung überzeugt letztlich aber nicht

Achtung: Rezension enthält ein paar kleine Spoiler zur Handlung.

Je länger das Buch nachwirkt, desto enttäuschter bin ich. Dabei fing es so vielversprechend an.
Das beschriebene Szenario ist grausam und erschreckend. Amerika wird von Männern regiert. Schlimmer noch, Frauen wurden zu stummen Hausmütterchen degradiert. Wortzähler in Armbandform erlauben ihnen 100 Worte am Tag. Wer mehr spricht, bekommt Stromschläge von dem Gerät – die zu schweren Verletzungen führen können. Arbeiten ist den Frauen nicht mehr erlaubt. Sie sollen Kinder gebären und sich um den Haushalt kümmern.
Mädchen und Jungen werden in getrennten Schulen unterrichtet, die Gehirnwäsche fängt früh an. Während den Mädchen bereits kurz nach der Geburt die vermeintlichen Armbänder umgelegt werden und sie in der Schule nur das notwendigste lernen, wird den Jungen das System förmlich eingeimpft. Kurse zur neuen Anschauung als Grundlage für eine Collagezulassung machen auch dem letzten die Rollenteilung schmackhaft. Manipulation und Gehirnwäsche ohne Ende…

Soweit, so schaurig. Auch wenn bei dem beschrieben Setting bereits einige Fragen offen bleiben – wie konnte es in einem so riesigen Land ernsthaft so weit kommen? Schaut der Rest der Welt einfach so zu? –, war Protagonistin und Ich-Erzäherin Jean für mich das größte Problem. Dr. Jean McClellan, Mitte 40, einst eine angesehene Wissenschaftlerin. Da Jean ja nur wenig sprechen kann, teilt sie den Lesern anfangs vor allem ihre Gedanken mit. Dabei gibt es immer wieder kleine Einblicke in verschiedene Stationen ihrer Vergangenheit. Diese Rückblenden sind übergangslos in den Fließtext eingebunden, sodass die Erzählweise anfangs etwas gewöhnungsbedürftig ist.
Da der Präsident Jeans Fähigkeiten als Medizinerin benötigt, wird sie das Armband für eine begrenzte Zeit los.

Ich bin mit Jean gar nicht warm geworden. Sie ist eine selbstbewusste Frau, aber vor allem ist sie unglaublich egoistisch und oftmals konnte ich über ihr Handeln nur den Kopf schütteln. Jean ist nicht gerade die geborene Hausfrau, was ja auch ok ist, aber irgendwer sollte den Haushalt bei vier Kindern (die alle vor der Gesetzesänderung zur Welt gekommen sind, also kein Produkt der neuen Rolle als Gebärmaschine sind…) dann doch am Laufen halten, damit die Kids vernünftig versorgt sind – was Jean aber relativ egal ist. Sie flippt ihrem Sohn, der vom System völlig verblendet ist, gegenüber aus und wird handgreiflich. Sie denkt ernsthaft darüber nach, ohne ihre Kinder abzuhauen, um der Wiederanlegung ihres Armbandes zu entfliehen. Das ungeborene Kind, das sie in sich trägt, reicht ihr dafür als Ausrede – verantwortungsbewusst genug mit ihrem heimlichen Liebhaber zu verhüten, war sie nämlich nicht…
Dabei legt sie bei der Betrachtung ihrer Welt eine ziemliche Doppelmoral an den Tag… Zudem trieft die ganze Geschichte nur so vor billigen Klischees.

Die Handlung konnte es dann auch nicht so wirklich retten. Zwar muss ich zugeben, dass ich das Buch an nur einem Wochenende gelesen habe – ist man erst mal drin, liest es sich recht flüssig –, einfach weil das Setting so erschreckend ist, dass ich wissen wollte, wie das Buch ausgeht. Dabei gibt es leider einige langatmige Passagen und insgesamt zu wenig Spannung. Zwar bietet die Handlung auch fesselnde Augenblicke, überraschende Wendungen und erschreckende Aufdeckungen, insgesamt zieht es sich aber. Besonders unerwartet kamen einige politische Verstrickungen, sowie die Aufdeckung von versteckt arbeitenden Rebellen.
Geschockt hat mich das Ende – weil es total vage ist. Mir zumindest ist nicht klar geworden, was da nun genau passiert ist, wer dabei was getan hat und welche Folgen daraus resultieren. Es fehlen ganz viele Erklärungen, die den Abschluss irgendwie hätten rund machen können…

Fazit

Die Idee des Buches hat mir super gefallen und anfangs empfand ich das Setting auch als spannend ausgearbeitet. Jean führt die Leser mit kleinen Rückblicken aus ihrem vorherigen Leben langsam an die neue Welt heran und lässt sie dabei an all ihren wütenden und aufgebrachten Gedanken teilhaben. Leider entwickelt sich Jean aber zu einer unglaublich unsympathischen Figur. Je weiter die Handlung voranschreitet, desto mehr Probleme hatte ich mit ihrem oft egoistischen, kratzbürstigen Verhalten.
Die Handlung bietet einige spannende Szenen sowie unerwartete politische Intrigen und Verstrickungen, hat aber auch immer wieder Längen. Am Ende geht alles viel zu schnell – wobei völlig offen bleibt, was eigentlich tatsächlich passiert ist.

Was bleibt, ist dass das Setting – die Gehirnwäsche eines ganzen Staates – natürlich dennoch zum Nachdenken darüber anregt, wie jeder Einzelne Einfluss auf politische Entwicklungen nehmen kann…

Ich danke dem Verlag für das bereitgestellte Rezensionsexemplar.

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