[gelesen] Alexandra Dichter – Schwester golden, Bruder aus Stein

© In Farbe und Bunt

Schwester golden, 
Bruder aus Stein


Autor: Alexandra Dichtler
erschienen Mai 2015
ISBN: 978-3941864283  

besondere Protagonistin mit ungewöhnlicher Geschichte

Lotta führt kein ganz so gewöhnliches Leben. Seit einem
Unfall, bei dem sie ihre Eltern verloren hat, lebt sie bei ihrem Großvater. Aufgrund
ihrer geringen Größe musste sie viele Hänseleien und dumme Sprüche einstecken, Freundschaften
aufzubauen war fast unmöglich. Sie lebt eher zurückgezogen, ist jedoch alles
andere als ruhig. In Lotta brodelt es, sie steckt voller Energie, die ihr
manchmal Angst macht. Als sie dann auch noch Stimmen hört, glaubt sie, völlig
verrückt zu werden. Lottas neuer Mitschüler Jurij kennt sich mit „unerklärlichen
Stimmen“ aus – doch ist Lotta genauso wie sein psychisch kranker Bruder oder
steckt etwas völlig anderes dahinter?

Die Charaktere in den Büchern von Alexandra Dichtler sind
alle einzigartig und besonders. Die Leichtigkeit und Unbeschwertheit, die viele
Protagonisten sonst haben, sucht man hier vergeblich. Die jungen Menschen sind
gezeichnet von Krankheiten, schweren, familiären Situationen oder ihren charakterlichen
Besonderheiten. Sie haben es nicht unbedingt leicht, aber genau das macht es so
spannend, sie zu begleiten, sie kennen und verstehen zu lernen. Hinter die Masken
zu blicken, kann einem viel mehr zeigen, als nur vorbei zu sehen. Besonders schön
finde ich, dass trotz der Schicksale immer wieder deutlich wird, dass die
Figuren schöne Momente erleben, dass sie sich freuen und Spaß am Leben haben –
soweit das eben möglich ist und nicht die nächste Katastrophe ins Haus steht.
Man muss nicht von Geburt an auf der Sonnenseite des Lebens stehen, um etwas
aus sich und der Zukunft zu machen.
Ich habe ein wenig gebraucht, um in die Geschichte hinein
zu finden und mich auf die Figuren und Handlung einzulassen. Zu Beginn des
Buches prasseln die Probleme und Schwierigkeiten erst mal ziemlich geballt auf
den Leser ein. Man ist etwas verloren in Lottas chaotischer Welt, in der sie
selbst manchmal ihren Platz sucht.
Da es bereits mein zweites Buch der Autorin ist, kannte
ich ihren Stil schon. Auch hier habe ich wieder deutlich gespürt, dass Sprache
und Satzbau mit der Gefühlslage der Personen verknüpft sind. Wenn die Stimmung
eher gedrückt ist, die Figuren verwirrt und durcheinander sind oder alles
drunter und drüber geht, gibt es eher kurze Sätze, ohne Ausschmückung, ohne
Schnörkel. Ist die Atmosphäre nicht so düster, werden auch die Beschreibungen
bunter, verschachtelter und lebendiger. Dadurch überträgt sich die Stimmung
beim Lesen gut und es fällt zunehmend leichter, sich auf die Handlung und die Personen
einzulassen. Die schönen Naturbeschreibungen helfen zusätzlich dabei, sich in
Lottas Heimatort zurecht zu finden und ihre Ausflüge in den Wald mit ihr zu
genießen.
Durch die Ich-Perspektive ist man sehr intensiv bei
Lotta. Man erlebt ihre aufgewühlten Gefühle mit, man taucht in ihre Gedanken ein,
man durchlebt gemeinsam ihre Träume, die teilweise ziemlich beängstigend sind. In
Lotta schlummert eine Kraft, die nicht so recht greifbar ist, die mit ihr Dinge
zu tun scheint, die sie selbst nicht erklären und vor allem nicht so richtig
steuern kann. Zwischendurch habe ich mich immer wieder gefragt, was Lotta sich
einbildet, was echt ist und was möglicherweise doch zum Fantasyanteil des
Buches gehört.
Besonders durch die Kombination mit den psychischen
Problemen von Jurijs Bruder, fällt es schwer, das Rätsel selbst zu
entschlüsseln. Einige Dinge sind ähnlich, andere wiederrum ganz anders und immer
bleibt die Frage, was da wirklich passiert, wie alles zusammenhängt und wie es
wohl weitergehen wird.
Zum Ende der Geschichte wird es noch mal temporeich und
überraschend. Es gibt unerwartete Wendungen, erneutes Chaos und reichlich Emotionen.
An einer Stelle liefen bei mir sogar die Tränen.
Die Dinge sind nicht immer, wie sie auf den ersten Blick
erscheinen. Es lohnt sich, einen zweiten Blick zu wagen, sich auch auf
schwierige Situationen einzulassen und die Türen für besondere Charaktere zu öffnen,
die ihre Geschichte erzählen möchten.
Ein interessantes Buch, das mich zwischendurch verwirrt,
aber auch berührt und überrascht hat.

Vielen Dank an die Autorin Alexandra Dichtler für das
bereitgestellte Rezensionsexemplar!

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