[gelesen] October, October von Katya Balen

Rezensionsexemplar

© Hanser Literaturverlag

October, October

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Katya Balen
erschienen Juli 2023
ab 11 Jahren
224 Seiten
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Hanser Literaturverlag
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besondere Atmosphäre, poetischer Stil

Für October gibt es schon seit vielen Jahren nur noch ihren Vater und den Wald, in dem sie leben. Ziemlich abgeschieden, mit viel Ruhe, Natur und zahlreichen Aufgaben, die so anfallen, um ihren Alltag am laufen zu halten und sich um ihre Umgebung zu kümmern. Die Elfjährige fühlt sich im Wald frei, wild und einfach zu Hause. Ihre Gedanken fliegen und sie erfindet Geschichten zu allem, was ihr begegnet. Als sie nach einem Unfall ihres Vaters für einige Zeit zu ihrer Mutter in die Großstadt ziehen muss, kommen die Geschichten in ihr zum Erliegen. Alles ist anders, alles ist fremd, nichts fühlt sich mehr frei und wild an. Eine schwere Umstellung für das Mädchen, das erst lernen muss, dass Veränderungen nicht immer nur negativ sind, sondern auch viele Chancen bieten, Neues zu entdecken und den Erfahrungsschatz zu erweitern.

Ich habe dieses Buch als besonders empfunden, schon allein aufgrund der malerischen, poetischen Erzählweise. Der Stil ist sehr bildgewaltig, voller kreativer, fantasievoller Gedankengeschichten von October, die einem aber gleichzeitig auch ihre Umgebung näher bringen, voller kindlicher Ansichten und gleichzeitig stecken auch immer wieder berührende, teilweise nachdenklich stimmende Botschaften drin. Manches erschließt sich sofort, anderes entfaltete sich erst so nach und nach beim Lesen.

Man ist die gesamte Zeit bei October und taucht sehr intensiv in ihre Gedanken- und Gefühlswelt ein. Auf Anführungszeichen wird komplett verzichtet, die Dinge, die andere zu ihr sagen, werden kursiv gedruckt und damit optisch abgegrenzt. Daran habe ich mich beim Lesen schnell gewöhnt. Immer wieder gibt es Passagen, die besonders formatiert sind und die auch stilistisch angepasst wurden. In diesen Abschnitten wird unter anderem auf Satzzeichen verzichtet. Im Nachwort findet man auch eine Anmerkung dazu, dass es die teilweise übersprudelnden Gedanken von October symbolisieren soll, die einfach aus ihrem Kopf purzeln, ungeordnet, ungefiltert, schneller, als sie sie sortieren könnte. An sich finde ich das zwar eine schöne Idee und es kann verdeutlichen, wie ausgedehnt das Gedankenkarussell des Mädchens ist, ich fand diese Passagen manchmal aber trotzdem eher schwer zu lesen. Vermutlich auch, weil es ungewohnt ist. Ich habe beim Lesen auch immer wieder überlegt, wann genau diese Abschnitte eingebunden sind, ob es dafür einen direkten Aufhänger gibt, für mein Empfinden wechselt das jedoch, wodurch es ausgelöst wird, was es nicht einfacher zu greifen machte. Wie es jüngeren Lesenden damit geht, wird sicher davon abhängen, wie viel Leseerfahrung sie haben. Wenn dann die gewohnten Strukturen wegbrechen, kann das vielleicht auch etwas den Lesefluss stocken lassen.
Zwischendurch wird auch noch mit weiteren Formatierungen gespielt, um Dinge in den Fokus zu rücken, die Wichtigkeit zu unterstreichen oder einfach den Verlauf der Ereignisse zu unterstützen. Kleine Illustrationen, die sich über das Buch ziehen, zeigen die Entwicklung von Eule Stig, die in der Geschichte auch eine Rolle spielt.

October und ihr Vater leben in einer Hütte im Wald, aber nicht völlig ohne Strom. Trotzdem merkt man ihrem Leben an, dass sie eher im Einklang mit der Natur sind, sie versorgen sich größtenteils selbst, tauschen ihre Lebensmittel beim Bauern gegen Eier und Milch und holen in der Stadt nur die Dinge, die unbedingt nötig sind und sie sie nicht selbst herstellen. Octobers Blick auf die Natur und die Tiere ist ein ganz anderer als bei anderen Kindern in ihrem Alter – und wohl auch als bei den meisten Erwachsenen. Sie weiß um die Wichtigkeit Pflanzen zu schützen, aber auch, dass nicht alles ewig lebt. Es war schön zu verfolgen, wie sie die Dinge sieht und wahrnimmt, wie sie Sachen schätzt und schützt. Oft wirkt sie jünger als elf, was aber sicher auch an der Art liegt, wie sie aufwächst. Sie hat nicht so viele fremde Außeneinflüsse, nicht den Erwartungsdruck der Gesellschaft und auch einfach ganz andere Erfahrungen als Kinder, die in der Stadt aufwachsen. Oft lebt sie auch ein bisschen in ihrer eigenen Welt, ihrer Gedankenwelt, sie denkt sich zu allem Geschichten aus, verknüpft ihre Umgebung und ihre Erlebnisse zu kleinen Abenteuern und lässt ihrer Fantasie dabei freien Lauf.
Als Octobers Vater einen Unfall hat und sie in die Stadt zu der Frau, die ihre Mutter ist, muss, muss sie sich sehr umstellen und viel lernen. Alles ist laut und voll, alles ist voller Gebäude und Menschen, nirgends scheint es frei und wild zu sein. Es gibt andere Regeln und Vorschriften, Erwartungen – einfach eine ganz andere Welt für das Mädchen. Für andere sind ihre Reaktionen nicht immer nachvollziehbar, ebenso wie sie nicht immer versteht, wieso die anderen Menschen so sind, wie sie es sind. Man spürt deutlich, wie es in ihr arbeitet, wie sie Dinge annimmt, sich ihre eigene Freiheit und Wildheit zurückerobert, Orte findet, an denen sie sich nicht so eingesperrt fühlt und Stück für Stück auch ihre Mauern gegenüber dem neuen Ort fallen. Nur weil sie die Stadt zu mögen lernt, heißt es ja nicht, dass sie ihren Wald dadurch weniger mag.
Schön fand ich, dass ganz unterschiedliche Emotionen und Empfindungen eingearbeitet sind. Octobers Abwehrhaltung ist spürbar und auch irgendwie verständlich, immer wieder blitzt aber auch Neugier durch, es wird nachdenklich, aber auch hoffnungsvoll, manches ist geprägt von Schuldgefühlen und tiefer Verletzung, aber auch von Freundschaft und tollen Botschaften, die Octobers Entwicklung beeinflussen und fördern.

Fazit

Ein besonders Kinder- und Jugendbuch, das durch den sehr poetischen Stil, die bildgewaltige Sprache, die fantasievollen Gedankengeschichten und die Fülle an Emotionen und Botschaften bestimmt eine Weile in Erinnerung bleibt.
Die verschiedenen stilistischen Mittel sind eine schöne Idee, auch wenn es mich persönlich manchmal im Lesefluss etwas gestört hat. Das empfindet aber sicher jeder unterschiedlich.
Eine Geschichte über Mut für Neuanfänge und neue Erfahrungen, sich die Wildheit und Freiheit zu erhalten oder sie neu zu entdecken, auch wenn man nicht in seiner gewohnten Umgebung ist.

Ich danke dem Verlag für das bereitgestellte Rezensionsexemplar.

2 Gedanken zu „[gelesen] October, October von Katya Balen“

  1. Hallo liebe Dana,
    dieses Buch hat mich schon bei der damaligen Recherche für den Neuerscheinungsbeitrag vom Klappentext her sehr angesprochen. Umso neugieriger war ich auf deine Meinung zum Buch. Gerade der Wechsel von Natur in die belebte Stadt klingt spannend. Aber auch die persönliche Entwicklung von October scheint gut ausgearbeitet.

    Ich habe auch schon Bücher gelesen, die mit Stilmitteln wie dem von dir beschriebenen arbeiten. Mich sprechen solche kleinen Wege, abseits des Mainstreams, prinzipiell auch an. Ich sehe aber auch das Problem. Gerade fehlende Satzzeichen erschweren eben auch den Leseflair. Darauf muss man sich einlassen können.

    Ich danke dir für diesen informativen Einblick ins Buch, der meine Neugierde weiter geschürt hat.

    Liebe Grüße
    Tanja :o)

    1. Hallo Tanja,
      ich könnte mir gut vorstellen, dass dir die Dynamik in der Geschichte gefallen würde. Ob die fehlenden Satzzeichen ein Problem wären, kann ich nicht so gut einschätzen, aber ich weiß noch, wie dich dieses sehr poetische Buch angesprochen und mitgenommen hat, das ich zwar nicht schlecht, aber auch nicht so überragend fand (ich komme gerade nicht auf den Buchtitel). Hätte ich es als Print, hätte ich es dir einfach mal zukommen lassen, dann hättest du reinschauen können, aber mit dem eBook geht das nicht. 😉
      Ich kann aber verstehen, dass dir das auch gleich ins Auge gestochen ist. Mir ist das auch gleich aufgefallen und ich hatte es schon lange vor VÖ auf die Merkliste gesetzt.
      Liebe Grüße,
      Dana

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